Ihr Lieben,
gleißende Tage und tropische Nächte – der Sommer glüht. Und zugleich scheint bereits eine leise Ahnung in der Luft zu liegen, dass der Sommer seinen Zenit bald überschritten haben wird und uns wieder ein atmosphärischer Wechsel bevorsteht.
Heute mal zuerst die Veranstaltungshinweise – in dem Fall vor allem für diejenigen unter euch, die bereits Erfahrung mit MBSR und/oder Meditation haben: Zur Auffrischung oder Vertiefung der eigenen Praxis biete ich ab Dienstag 8.10. einen vierteiligen MBSR-Vertiefungskurs in Berlin Neukölln an – das ist ein Pilot und ich freue mich sehr auf das neue Format. Alternativ oder auch ergänzend dazu gibt es die Möglichkeit, am Achtsamkeitstag meines nächsten 8-Wochen-Kurses am Samstag 23.11. teilzunehmen. Übrigens werden wir für diesen Tag zu Gast im Lotos Vihara sein, dem buddhistischen Meditationszentrum in Berlin Mitte.
Und dann noch einige Gedanken zum Alltag.
Ich erlebe manchmal so kleine Störmomente. Ich will los und die Fahrradreifen brauchen eigentlich dringend Luft … aber nicht jetzt, denn ich will ja los. Also steige ich aufs Rad – und werde bei jedem Tritt in die Pedale daran erinnert, dass es mit zu wenig Luft in den Reifen einfach mühsamer ist als es sein müsste. Oder ich mache mich bereit für eine Verabredung und würde gerne diese eine Jacke anziehen, ich müsste nur mal endlich den Knopf wieder annähen … aber nicht jetzt, ich bin ja auf dem Sprung. Also bleibt die Jacke wie so oft zuvor am Kleiderbügel hängen – und jedes Mal, wenn mein Blick wieder darauf fällt, erinnert sie mich stumm mahnend daran, dass da ja immer noch ein Knopf fehlt … aber nicht jetzt.
Es gibt eine ganze Menge solcher „nicht jetzt“-Momente in meinem Leben. Meist sind sie ganz klein und unscheinbar, aber sie passieren mir täglich. Und wenn ich so drüber nachdenke, wird mir klar, dass mir das auch im Bereich der Selbstfürsorge gerne mal begegnet: Eine kleine Pause machen? Nicht jetzt. Mir ein Glas Wasser holen? Nicht jetzt. Sogar: zur Toilette gehen? Nicht jetzt. Meine Grundhaltung in diesen Momenten ist immer dieselbe: Ich habe ein Ziel und auf dem Weg dahin möchte ich bitte schön nicht von Hindernissen ausgebremst werden. Mein Vorwärts-Drang gestattet keine Umwege. Ich will weiter, ich hab Wichtigeres zu tun! Der Effekt dieser Momente ist genau besehen auch immer derselbe: Kaum habe ich bemerkt, dass es Handlungsbedarf gibt (und sei er noch so klein), kommt auch schon der Impuls von Trotz und Ablehnung („ich lasse mich nicht aufhalten!“), ich mache weiter im Text, dann aber unter einer leichten Tönung von Frust oder Ärger (über den noch immer nicht behobenen Zustand) und beim nächsten Mal auf dem Rad oder am Kleiderschrank geht das Ganze wieder von vorn los. Ah, blöd … aber nicht jetzt.
Neulich war mal wieder so ein Moment, aber der war anders. Am Schreibtisch sitzend, einen stumpfen Bleistift in der Hand … da wurde mir zum allerersten Mal w i r k l i c h bewusst, dass ich „nicht jetzt!“ denke. Und unmittelbar nach dieser Erkenntnis machte sich plötzlich eine große Erleichterung in mir breit – so, als wäre eine schwere Last von mir abgefallen und ich mit einem Mal wieder frei und handlungsfähig. Und dann: „Doch, genau jetzt! Wann denn sonst?“ In weniger als einer Minute war der Bleistift gespitzt und ich von einer tiefen Zufriedenheit und Freude erfüllt. Zu meiner echten Überraschung war es nämlich ganz einfach, schnell und mühelos, das lästige Problem zu beheben. Und die Notizen gingen mir so viel leichter von der Hand. Zudem hat es mir tatsächlich eine kleine Freude bereitet, diesen praktischen Gegenstand wieder gebrauchstauglich gemacht zu haben. Und vor allem: Ich habe mich einfach dem zugewandt, was es in diesem Augenblick brauchte, und getan, was zu tun war – das habe ich als zutiefst befriedigend erlebt. Es liegt eine große Wertschätzung für den gegenwärtigen Augenblick darin – und für den nächsten, der aus ihm erwächst. Oder wie es der vietnamesische Mönch Thich Nhat Hanh formuliert hat: „Die beste Weise, sich um die Zukunft zu kümmern, besteht darin, sich sorgsam der Gegenwart zuzuwenden.“
Ich erlebe diese Momente immer noch häufig. Aber was dem folgt, hat eine andere Qualität bekommen. Denn das „nicht jetzt“ ist zu einem Hinweis für mich geworden, zu einer Einladung: mich auf das auszurichten, was wirklich hilfreich ist. Nicht immer, aber oft folge ich inzwischen der Einladung. So gibt es weniger Trotz und Frust, mehr Zugewandtheit, mehr Zufriedenheit, mehr Einfachheit in meinem Leben – und ja, auch öfter mal aufgepumpte Reifen und gespitzte Bleistifte.
Gestern war übrigens auch mal wieder so ein Moment. Kaffee in der Hand, Blick nach draußen durchs Küchenfenster – oje, die Scheiben … aber nicht jet… Nicht? Doch! Genau jetzt. Seither erfreue ich mich an dem klaren Blick nach draußen, wo das laue Sommerlüftchen die grünen Blätter an der großen Pappel zum Rauschen bringt. Nicht mehr lange, dann werden sie bunt werden …
Ich wünsche euch von Herzen alles Gute, Genuss am Rest des Sommers und Vorfreude auf den nahenden Herbst!
Liebe Grüße,
Suse (Susanne)