#15 Bei 1 anfangen

Ein Jahr ist seit der letzten Ausgabe vergangen. Nun wird es allerhöchste Zeit für eine neue. Denn es gibt wieder einige Termine, die euch interessieren könnten (und weiter unten wie immer einige Gedanken zur Achtsamkeit im Alltag):

  • ein MBSR-Vertiefungskurs im Herbst: vier Abende à zwei Stunden, alle zwei Wochen ab Donnerstag 18.9. (für Menschen mit MBSR-Erfahrung, im buddhistischen Meditationszentrum Lotos Vihara in Berlin Mitte)
  • ein Tag der Achtsamkeit am Sonntag 16.11. (ebenfalls für MBSR-Erfahrene und ebenfalls im Lotos Vihara)
  • ein MBSR-Seminar an einem schönen neuen Ort: 18.-23.1.2026 am Seminarhaus Taubenblau in der Uckermark (die kommenden Termine im Oktober am Rosenwaldhof und im November am Fastenhof Behm sind bereits voll belegt)
  • eine zusätzliche Fastenwoche in Wiek auf Rügen: wie gehabt vom 5.-11.4.2026 (ab Ostersonntag) sowie nun auch vom 24.-30.5.2026 (ab Pfingstsonntag)
  • und zu meiner großen Freude außerdem ein ganz neues Seminar, wieder gemeinsam mit meiner wunderbaren Kollegin Cornelia Lorenz: Achtsam Gesund vom 7.-12.6.2026 am Rosenwaldhof (ganz frisch anerkannt als Bildungsurlaub in Berlin und damit auch in Brandenburg). Hier verbinden wir Meditation und Selbsterfahrung mit wissenschaftlich fundiertem Wissen zu den Grundlagen eines gesunden Lebens: besser schlafen, bewusster essen, natürlicher bewegen. Ein Seminar für alle, die Gesundheit nicht nur verstehen, sondern in sich selbst erfahren und nachhaltig in ihr Leben integrieren möchten.

Ich würde mich freuen, wenn wir uns bei der einen oder anderen Gelegenheit wiedersehen!
 
Übrigens haben Cornelia und ich inzwischen (neben unseren jeweils eigenen) auch eine gemeinsame Website mit dem schönen Namen Achtsamkeitspraxis.org, auf der ihr alle Achtsamkeitsangebote findet, die wir beide gemeinsam und jeweils einzeln anbieten. Werft doch gerne mal einen Blick darauf!
 
Und hier aus lieb gewonnener Gewohnheit noch einige Gedanken zur Praxis.
 
Mein Weg der Achtsamkeit hat im Sommer vor zwölf Jahren begonnen. Auf diesem Weg zu gehen bedeutet für mich, dass ich nicht ständig stur geradeaus laufe, sondern über die Jahre immer wieder die Richtung neu justiere: dass ich Impulse aufnehme, mich auf neue Erfahrungen und Perspektiven einlasse, im Ansinnen und oft auch ganz konkreten Bedürfnis, meine Praxis zu nähren und mein Verständnis dessen weiterzuentwickeln, was ich da eigentlich tue und warum. Man könnte auch sagen: um mich immer wieder neu auszurichten. Zuweilen geschieht es beim Gehen auf meinem Weg auch, dass ich orientierungslos stehen bleibe, mich etwas verunsichert umschaue und mich dann neu orientiere, wo ich eigentlich bin und wo es weitergeht. Diese Momente der Neuausrichtung bringen oft ein besonderes Momentum mit sich, denn meist geschehen sie am Ende von herausfordernden, vielleicht suchenden oder sogar zweifelnden Phasen und dann lichtet sich der Nebel plötzlich, der Weg liegt wieder klar und deutlich vor mir und ich erlebe meine Praxis wieder als leicht, lebendig und in sich stimmig.
 
Kürzlich war ich im Rahmen eines Aikido-Lehrgangs für eine Woche zu Gast in einem buddhistischen Zen-Zentrum inmitten der wildromantischen Ardèche in Südfrankreich, wo wir jeden Morgen ab 6:15 Uhr auch an der Meditationspraxis (Zazen) des Zentrums teilnehmen durften. Da mein Weg damals vor zwölf Jahren bei zwei wunderbaren Zen-Lehrern begonnen hatte, war es in gewisser Weise eine Heimkehr in altvertraute Gefilde. Und doch – und so ist das zuweilen mit einer lebendigen Praxis – war da für mich viel Neues im Alten zu entdecken.
 
Da nicht alle in unserer Gruppe Erfahrung mit Zen bzw. Meditation hatten, gab uns der Leiter des Zentrums zu Beginn der Woche eine kurze Einweisung, was Meditierende im Zen eigentlich tun. Und die Anleitung war denkbar einfach: „Die natürlichen Atemzüge zählen, bis 10 und dann immer wieder bei 1 anfangen.“ Ich persönlich habe das Zählen der Atemzüge in der Meditation, wie es im Zen klassischerweise praktiziert wird, vor einigen Jahren aufgegeben und mich – im Sinne der Achtsamkeitsmeditation – anderen Objekten der Aufmerksamkeit zugewandt: der Atemempfindung, anderen Körperempfindungen, den Geräuschen, den Gedanken und Gefühlen. Diese Neuausrichtung war für mich damals ein einschneidendes Aha-Erlebnis, das meine Praxis und meine Entwicklung sehr geprägt und befruchtet hat. Und nun war ich in Frankreich also plötzlich wieder eingeladen, die Atemzüge zu zählen.
 
Was dann passiert ist, hat mich überrascht. Denn der anfängliche kleine Widerstand in mir ist Stück für Stück – im Wortsinne Atemzug für Atemzug – einem großen Erstaunen darüber gewichen, dass mir in dieser schlichten Einladung ganz aufs Neue eine besondere Qualität zugänglich wird. „Die Atemzüge bis 10 zählen und dann wieder bei 1 anfangen.“ Was wir in unserer westlichen Konditionierung dabei meist hören, ist wohl: 10 ist das Ziel! Was das Zen aber meint, ist: Fange einfach immer wieder bei 1 an. Denn es geht eben nicht darum, ein Ziel zu erreichen, eine Leistung zu erbringen oder Erwartungen zu erfüllen (auch nicht die eigenen). Wir müssen noch nicht mal irgendwas. Sondern wir dürfen – dürfen immer wieder bei 1 anfangen, egal, was ist oder bis hierhin war. Eins. Reset. Neuanfang. Eine schlichte Geste von großer Leichtigkeit.
 
Ich persönlich stelle in diesem Mini-Moment des Neubeginns fast jedes Mal und ganz konkret fest, dass da eine Anspannung in meinem Körper ist, die mir bis dahin gar nicht bewusst war – ein unscheinbarer, aber dennoch eindeutig erhöhter Muskeltonus, der sich, wie ich inzwischen weiß, immer wieder aufs Neue in meinem Körper aufbaut, während ich in Gedanken bin, und den ich mit verlässlicher Regelmäßigkeit erst dann bemerke, wenn ich aus diesen Gedanken auftauche. Dieses Phänomen der körperlichen Anspannung in Verbindung mit dem In-Gedanken-Sein begegnet mir tatsächlich häufig in meiner Praxis. Und auch wenn ich diese Begegnung im ersten Moment oft als irritierend und unliebsam empfinde, so ist sie mir ausnahmslos jedes Mal äußerst wertvoll: Denn es ist das Gewahrwerden, dass die Anspannung da ist, das mir die Freiheit gibt, sie loszulassen – mich frei zu machen. Mich wieder neu auszurichten in mir selbst. Mich wieder ganz frisch einzulassen auf das, was ist. Und einfach immer wieder da anzufangen, wo ich gerade bin. Eins. Und plötzlich wird alles wieder leicht, lebendig und in sich stimmig. Vielleicht kann uns das ja zuweilen auch im Alltag hilfreich sein … Eins.
 
In dem Sinne wünsche ich euch noch einen schönen Sommer und immer wieder kleine Neuanfänge!
 
Liebe Grüße zu euch von der Insel Rügen,
Suse (Susanne)